Aktive Imagination
Aktive Imaginationen sind ein von C.G. Jung entwickeltes Verfahren, dass eine tiefe Auseinandersetzung mit dem Unbewussten und den dort verankerten Themen und Konflikten ermöglicht, die dem Bewusstsein und Intellekt im normalen Gespräch häufig nicht zugänglich sind.
In einem Brief schrieb Jung (1972, S. 195): „Mit dem Hereinkommenlassen des Unbewussten ist erst die Hälfte getan. Die zweite Hälfte besteht in der Auseinandersetzung mit dem Unbewussten ... Man muss nämlich selbst in die Phantasie eintreten und die Figuren zwingen, Rede und Antwort zu stehen. Kommt eine Figur vor, die spricht, dann sagen auch Sie, was Sie zu sagen haben, und hören Sie auf das, was er oder sie zu sagen hat. Auf diese Weise können Sie nicht nur Ihr Unbewusstes analysieren, sondern Sie geben dem Unbewussten die Chance, Sie zu analysieren. Und so erschaffen Sie nach und nach die Einheit von Bewusstsein und Unbewusstem, ohne die es überhaupt keine Individualität gibt.“ (Jung, C.G., Briefe1946-1955, Bd.2, S 76).
Im Rahmen der aktiven Imaginationen hat der/die KlientIn die Möglichkeit sich selbstständig unter Führung des / der Therapeuten/in mit seinen inneren Bildern, wie wir sie auch aus Träumen und Tagphantasien kennen auseinanderzusetzen, sie wahrzunehmen und ihre Bearbeitung für den eigenen Entwicklungsweg zu nutzen. Aktive Imagination ist keine passive Wahrnehmung in einem tranceartigen Zustand, keine Hypnose und auch keine geführte Phantasiereise. Eine in die innere Stille führende Anfangsentspannung ermöglicht es sich in einem Zustand der Sammlung der inneren Bilderwelt zu öffnen.
Gegenstand der Imagination können eine Frage oder ein Konflikt aus dem Alltag oder der Vergangenheit, ein rätselhafter Traum, die Arbeit mit dem inneren Kind oder symbolische Übungen z.B. zur Entwicklung von Animus und Anima sein.
Ein Beispiel: Ein 35 jähriger Mann wird von vielfältigen zum Teil frei flottierenden Ängsten geplagt, die bisher die eine erfolgreiche private wie berufliche Entwicklung bisher verhinderten. Im Rahmen der aktiven Imagination rufen wir eine aktuelle Angstauslösende Situation in Erinnerung. Auf die Frage, wie alt der Klient sich in der Situation fühlt, taucht das Alter 6 Jahre auf. Befragt nach einem Bild zu der Situation sieht sich der Klient im elterlichen Wohnzimmer ohnmächtig und hilflos seinem überstrengen Vater gegenüber dessen Ansprüchen er nie genügen konnte. Im weiteren Verlauf gelingt es dem Klienten sein 6-jähriges Inneres Kind in der Imagination, zu trösten und unterstützen, bis der 6 jährige sich gemeinsam mit Hilfe des erwachsenen Klienten-Ich traut sich gegen den überstrengen Vater zu wehren. In Folge weicht bis ins Körperliche spürbar und später auch im Alltag - der Zustand der Ohnmacht. Eigenes angstfreies Handeln zu nächst in der Imagination und später in der Realität wird möglich. Es geht, - ob mit symbolischen oder realen Bildern -, um die Entdeckung und bewusste Auseinandersetzung mit unserer Innenwelt. Den Blick vom Außen auf unser Inneres zu lenken hilft uns, aktuelle Konflikte auf ihren Ursachenkern zurückzuführen und verlorene Teile von uns selbst wieder zu finden. Nicht im Außen, sondern im Innen finden wir die- / denjenigen, den wir häufig so verzweifelt suchen – uns Selbst.
Es ist ein seelischer Reifungs- und Wandlungsprozess, oder wie C.G. Jung es ausgedrückt der Individuationprozess. Ziel des Individuationsprozesses – ein natürlicher Entwicklungsprozess- ist es, dass wir im Laufe des Lebens immer mehr zu dem oder zu der werden, die wir wirklich sind. Authentisch uns selbst und der Welt gegenüber. Die aktiven Imaginationen helfen uns bei diesem Prozess, uns selbst zu entdecken, zu erkennen, heilen und annehmen zu können.
„Das Unbewusste ist kein dämonisches Ungeheuer, sondern ein moralisch, ästhetisch und intellektuell indifferentes Naturwesen, das nur dann wirklich gefährlich wird, wenn unsere bewusste Einstellung dazu hoffnungslos unrichtig ist. In dem Maße, wie wir verdrängen, steigt die Gefährlichkeit des Unbewussten.“ C.G. Jung, Bewusstes und Unbewusstes “